in cat Kairo Biennale 2006

oriental carpet I, 2006 - endura print mounted on alu dibond – 180 x 258 cm.

oriental carpet I, 2006 – endura print mounted on alu dibond – 180 x 258 cm.

Hervé Graumann zählte in den 1990er Jahren zu den Pionieren der digitalen Medienkunst in der Schweiz. Einem breiten Publikum bekannt wurde er 1993 mit der Arbeit “Raoul Pictor cherche son style…” (1993), die bis heute in leicht modernisierter Version auf dem Internet läuft (www.raoulpictor.com). In dieser Computeranimation können wir dem Maler Raoul Pictor – einem simplen Grafikmännchen aus der Generation des „Super Mario“ – dabei zuschauen, wie er ein Bild für uns malt. Das Gemälde sehen wir erst zum Schluss der ungefähr fünfminütigen Vorführung von vorne, wenn es aus dem Drucker kommt. Bis dahin verfolgen wir den mit allen Insignien des romantischen Klischees ausgestatteten Maler durch die Höhen und Tiefen des kreativen Prozesses: das Farbenmischen, die Konsultation der Literatur, das Delirium des Malaktes, die Trinkpausen usf. Zum Schluss steht das fertige Gemälde mit Signatur des Künstlers zum Ausdruck bereit. Sowohl der Ablauf dieses Prozesses wie auch das „Gemälde“ zu seinem Abschluss gestalten sich immer wieder neu, nach Massgabe des digitalen Zufallsgenerators.

Was auf den ersten Blick als amüsante Persiflage auf ein obsoletes Künstlerbild daherkommt, initiiert bei näherer Betrachtung eine Reflexion über die Bedingungen der Kunst und den Status des Künstlers im Zeitalter der digitalen Reproduktion. Auf der einen Seite haben wir den modernen Medienkünstler Hervé Graumann, der Programme schreibt, die Bilder generieren. Und wie bei der Computerlyrik stellt sich die Frage, was wir eigentlich in der Hand halten, wenn der Drucker ein „Gemälde“ ausspuckt: ein Kunstwerk von Hervé Graumann? von Raoul Pictor? oder gar keine Kunst? Auf der anderen Seite, in der digitalen Welt, das klassische Drehbuch des Künstlertums: Raoul Pictor mit Pinsel und Beret, im inneren Kampf mit dem „persönlichen Stil“, einmalig und authentisch, was der Maler zum Schluss mit seiner Signatur zum Gemälde bekräftigt. Ein schwer angegrautes Bild vom zeitgenössischen Künstler vielleicht, aber eines, das noch immer das Zentrum des Kunstbetriebes und seiner Ökonomie besetzt. Keiner der jungen Computer- oder Internetkünstler konnte sich bisher mit programmierten, beliebig reproduzierbaren Arbeiten im Olymp der Gegenwartskunst etablieren.

Ihren Witz und ihr kritisches Potential entwickeln viele von Hervé Graumanns Arbeiten über eine Um-Setzung, über eine Verschiebung von Elementen vom einen System in ein anderes. Bei dieser Um-Setzung werden auch gewisse Regeln in das neue System übernommen, die dort deplaziert wirken und gerade dadurch erkennbar sind. In den Videoskulpturen der „EZmodels“, den virtuellen Kamerafahrten durch computergenerierte Räume, setzt Hervé Graumann Fotografien mit Hilfe des Computers in den dreidimensionalen Raum um. Während der Vorgang in der Gegenrichtung, also bei der Verflachung des Raumes zur Fotografie, von uns ohne Mühe mental ausgeglichen und als originalgetreue Spiegelung einer Realität gelesen wird, bildet sich beim Aufblasen der Fotografien auf den Raum eine befremdende, unheimliche Welt, mit visuellen Leerstellen, die aufzeigen, was beim Fotografieren verloren ging. Dieselbe Befremdlichkeit eignet auch den virtuellen Welten der Computerspiele, aber es wird wohl nicht mehr lange dauern und wir fühlen uns in den Räumen der Videoskulpturen so heimisch wie im Ausstellungsraum. Dem Weg vom Raum zum Bild und zurück zum Raum entspricht der Medienwechsel von Natur zu Fotografie zu Video. Hervé Graumanns künstlerische Recherche gilt solchen Wechseln und ihren Folgen, mehr als dem Gebrauch der „Neuen Medien“ an und für sich.

Hervé Graumanns Arbeiten aus der Serie der “Pattern”, die er in Kairo zeigt, scheinen als ornamentale Zusammensetzungen und endlose Wiederholung eines einzelnen Motivs auf den ersten Blick ihren Titel zu bestätigen. Gerade in der Computerwelt haben solche Bildornamente in der Verwendung als „Wallpapers“ für Desktops und andere Sites ja wieder eine allgegenwärtige Präsenz erhalten. Graumanns „Patterns“ allerdings geben nur vor, solche zu sein. Sie sind nicht am Computer in der Ökonomie von “copy and paste” entstanden, sondern beruhen auf klassisch künstlerischem Handwerk: Hervé Graumann baut seine Kompositionen als räumliche Installationen auf und fotografiert sie zur weiteren Verwendung als gerahmtes Bild oder Tapete. So verbinden seine Patterns über die Medienwechsel die unterschiedlichen Genres mit den unterschiedlichen Gesetzmässigkeiten und Wertungen, die sie in der europäischen Kunsttradition mit sich tragen. Die synthetische Objektakkumulation der Installation – in einer Tradition von Pop Art und Nouveau Réalisme – überlagert sich mit dem mimetisch detailgetreuen, perspektivisch verkürzten Bildraum der Fotografie und der abstrakten Welt des Ornamentes mit seinen austarierten Farb- und Formkompositionen; je nach Standpunkt und kulturellem Hintergrund ein Weg von „low“ zu „high“ zu „low“. Und wie bei der Fabel oder der Travestie im Schauspiel erweist sich die eigentliche Konstitution der Figuren, wo sie in falschen Kleidern stecken. Aber auch die Macht der Kleider kommt erst richtig zur Geltung, wo sie die falschen Personen umhüllen.

Andreas Münch