Ich glaube nicht, dass sich Hervé Graumann besonders für die Farbe interessiert – so wie er sich auch nicht für die Verpackungs-Kartons interessiert, die er photographiert, oder für die Möbel, die er auseinandersägt. Ihm macht es Spass – gewiss ist er einer der seltenen Künstler, die sich heute amüsieren können -, aus einer nicht etwa beliebigen, sondern gleichgültigen Vorgabe eine Logik zu entwickeln. Was meine ich damit?

Erstens: Die Objekte oder die den meisten Arbeiten als Grundlage dienenden Objektqualitäten sind gleichgültig darum, weil kein signifikanter Inhalt aus ihrer Auswahl erwächst. Ich stelle mir vor, dass vielmehr ihre Umgänglichkeit, die Bequemlichkeit, mit der sie der Künstler manipulieren kann, das wichtigste Auswahlkriterium darstellt.

Zweitens: Trotzdem halte ich daran fest, dass diese Auswahl nicht beliebig ist, weil eine bestimmte Erfahrung der Welt durch den Eingriff des Künstlers umkippen kann. Das Objekt oder seine Erscheinung kann in einer Informationskette – oder treffender: in einem Informationsnetz – virtuell rekonstruiert werden. Die Härte des Steins ist dann nicht mehr eine Qualität eines bestimmten Steinblocks; sie kann davon gelöst werden, wie die Farbe, die Höhe, die körnige Struktur, die Masse usw. Der Glanz der Sonne ist dann provisorisch, gefiltert und kann plötzlich geregelt werden wie das Licht eines Theaterprojektors.

Drittens: Die Logik des Künstlers ist eine sachliche Auseinander-setzung mit der Logik der Information, so wie sie uns langsam durch unsere wachsende Vertrautheit mit dem Computer bewusst wird. Eine Logik der Erfassung, dann der Verarbeitung der Informationen.

Ich glaube nicht, dass man die Dinge mit einem Computer anders ausdrückt; nur der Ton ist neu; der Akzent hat sich verschoben. Wie kann man diese Verschiebung abmessen? Vielleicht ist genau das die Frage, die sich hinter der Arbeit Graumanns versteckt… Das wirklich packendste Merkmal ist das Fehlen einer Welt, d. h. einer Gesamtheit von festen Beziehungen zwischen den Elementen, aus denen die Dinge bestehen, und zwischen den Dingen selbst. Warum sollte man mit der Farbe Schluss machen? Weil die Maschine damit schon lange Schluss gemacht hat, unter anderem? Das will noch lange nicht heissen, dass morgen ein Maler mit dem Pinsel in der Hand den Emotionsgehalt der Farbe nicht mehr wiederbeleben kann; dass er die Spekulationen und Erkenntnisse, mit denen uns die Malerei seit Jahrhunderten konvulsivisch konfrontiert, nicht mehr umstossen oder verfeinern kann. Nicht davon sprechen wir: Graumann stellt ein anderes Modell vor, das sich nicht aus der Farbe oder einem anderen Grundmaterial entwickelt. Seine Kunst bewegt sich in einem Informationsnetz, dessen Möglichkeiten nicht durch die momentan darin zirkulierenden Inhalte beeinflusst werden. Ob es sich nun um Farben oder zum Beispiel Individuen handelt, das Kriterium für die Klassifikation der Namen in alphabetischer Reihenfolge ist in beiden Fällen angebracht. So ist auch die Suche via Videotex, Fax-Modem und Computer von Telefonabonnenten, deren Name einer Farbe entspricht, ein durchaus berechtigtes Anliegen [sélection chromatique]. Graumann wird dem Maler Gilles Porret den Vorschlag machen, Herrn Blau, Frau Orange und Fräulein Braun zu treffen [rencontres chromatiques].

Man könnte an eine witzige Verwirrungsstrategie denken. In einem gewissen Sinne handelt es sich für unsere hierarchische und essentialistische Logik, die uns immer noch auszeichnet, auch ein Gag – im übrigen eher poetischer Natur. Meines Erachtens kommt aber noch etwas anderes dazu: auch wenn uns der Übergang von einer Serie zur andern immer noch unschicklich erscheint, für die Maschine jedenfalls gehört er zum Selbstver-ständlichsten. In der Logik der Erfassung der Welt, die sich mit Hilfe des Computers langsam aufbaut, ist Herr Braun und die gleichnamige Farbe eine gleichwertige Information; die Tatsache, dass sie zwei total verschiedenen Realitätsebenen angehören, hat auf das Programm, das sie einhellig bearbeitet, nicht den geringsten Einfluss. Mit der Farbe Schluss machen könnte auch bedeuten, mit der Person Schluss machen. Beim Leeren des Papierkorbs ist darauf zu achten, dass die beiden Informationen in separaten Dossiers klassiert worden sind.

Ohne dramatisieren zu wollen, muss man zum Schluss doch noch berücksichtigen, dass die Farbe in der Arbeit von Hervé Graumann ein Etikett darstellt, unter dem man verschiedene Ansätze einordnen kann. Diese Ansätze beschäftigen sich nicht unmittelbar mit Farbe, sondern mit der Wiedergabe von Farbe, wie sie mit Hilfe diverser Informationsprozesse in zahlreichen Abarten vorgeschlagenen werden kann. Diese Prozesse können eine ziemlich hochentwickelte Technologie (Computer und periphere Instumente) beanspruchen, sie können aber auch einen viel handwerklicheren Aspekt haben, wenn z. B. farbige Reissnägel Pixels darstellen sollen, diese kleinen Lichtkörner, die auf den Bildschirmen der Computer schimmern. Ist Graumann ein Handwerker? Warum nicht? Dann aber ein Handwerker des fröhlichen Missgeschicks, bei dem eine ganze Welt mit ihren Bildern untergeht. Fröhlich darum, weil im selben Atemzug eine andere Welt entsteht, die weder besser noch schlechter ist, dafür aber neu.

François-Yves Morin
in cat. Hardhof, Basel (3 sept.-24 oct. 1992)