Andreas Meier – Vorwort
in Monography
— People speak about computer art as if it were art in plaster or bronze. That doesn’t really interest me. To represent a computer screen, I prefer to use a stretched canvas and stick some coloured thumbtacks into it.
Der Aussage von Hervé Graumann könnten wir entgegenhalten, dass wir von einem Computerkünstler nicht unbedingt erwarten, dass er seinen Computer darstellt, so wenig wie wir erwarten, dass ein Maler als erstes daran denkt, Pinsel und Farbe zu malen. Aber es ist zumindest seit der Pop Art bekannt, dass sich ein Pinselstrich in Rasterpunkte übersetzen lässt und sich damit in einem fremden Medium eines (wiederum gemalten) Druckrasters der Akt des Malens festhalten lässt. Mit diesem Moment der Verfremdung erreichte Roy Lichtenstein eine Reflexion sowohl des Ausdrucksmittels als auch des Gegenstandes, den er darstellte. Mit nichtmalerischen Mitteln stellte er Malerei dar. Und Hervé Graumann erreichte seinen Erfolgsdurchbruch mit der antiquierten Figur eines Malers, der uns auf der Bildscheibe des Monitors vorexerziert, wie das «alte Handwerk» des Malens mit Staffelei und drei Farbtöpfen funktioniert. Nun, das eigentliche Handwerkszeug von Hervé Graumann ist weder Pinsel und Farbe noch ein Computer oder irgendein traditionellerweise an einer Kunstschule unterrichtetes Ausdrucksmittel. Es ist vielmehr der sprunghafte Wechsel des Blickes und der Perspektive, oder das Mittel von Humor und Ironie, mit der er an die Wirklichkeit und an kunstphilosophische Fragestellungen heranführt. Dass er als Frankophoner einen deutschsprachigen Namen trägt, wurde ihm schon früh bewusst und dass dieser ihn zur Farbigkeit führte, dafür haben wir Verständnis.
Nonchalance hiess 1997 eine Ausstellung im Centre PasquArt in Biel, die anschliessend in der Akademie der Künste in Berlin gezeigt wurde. Art de vie, Autopoiese, Autoréflexion, Autosubversion, Changement de paradigmes, Crossover, Déviance, Flaneur waren einige Stichworte, die der Katalog reflektierte. Hervé Graumann war mit Pipilotti Rist, Daniele Buetti, Fabrice Gygi, Sylvie Fleury, Thomas Hirschhorn, Christian Marclay und weiteren KünstlerInnen vertreten. Christian Robert-Tissots Beitrag auf der CD des preisgekrönten Katalogbuches hiess «Assez nul», der von L/B «Reduzierte Schwerkraft», Stefan Altenburgers «Unsaved Memories» und Hervé Graumanns «Music for Printer». Hervé Graumann war für mich der typische Vertreter der Nonchalance. Seine Installation For machines konfrontierte uns mit elektrischen Haushaltgeräten, einem Föhn, einer Bohrmaschine, einem Radio, einem Plattenspieler, Lampen etc., die durch ein Programm abwechselnd und miteinander in Bewegung gesetzt wurden. Parallel dazu lief ein Video mit Alltagsszenen, die Hervé Graumann zusammen mit seiner siebenjährigen Tochter gefilmt hatte. Von dieser durch Kunst vermittelten Unbekümmertheit, von der ganz leichten Berührung mit der Wirklichkeit nämlich, träumen wir eindimensional funktionierenden strebsamen Alltagsmenschen. Ich weiss, das Wörterbuch gibt für die Nonchalance durchaus negative Umschreibungen wie manque de soin, négligence, manque d’ardeur. Wir aber hatten ein Wort entdeckt, das seine abschreckende Wirkung verloren hatte. Für uns war es ein erweiterter Begriff für kreative Traumtänzer und Jongleure.
Ohne Hervé Graumann heute diese Qualität der Nonchalance ganz absprechen zu wollen, sehe ich ihn, zurückblickend auf die ganze Schaffensentwicklung differenzierter. Ich verfolge seine Arbeit seit über zehn Jahren und war nicht nur begeistert von Raoul Pictors erstem Auftreten, von Hard on soft, von Blanc sur Blanc. Es liegt in der Natur seines Werkes, das sich teilweise im virtuellen Cyberspace, teilweise im Museumsraum manifestiert, dass das kontinuierlich weiterentwickelnde Werk des Raoul Pictor im Zentrum stand. Natürlich träumt er weiterhin von seinem automatischen Assistenten, der hier und da und überall in der Welt, wo er eingeladen ist, lauter Originalbilder generiert und dem künstlerischen Original-Werk-Begriff und damit auch dem Kunstbetrieb ein Schnippchen schlägt. Mehrmals hat mich Hervé Graumann darauf hingewiesen, wie schön einzelne Bilder seien. Ich habe dies nicht bestritten, aber Raoul Pictor ist eben auch eine Provokation für das Prinzip individuell schöpferischer Tätigkeit. Er taugt als Metapher für die Verschiebung unseres Interesses weg von der Bewunderung eines materiell einmaligen Bildes zur visuell generierten Reflexion über schöpferische Prozesse. Hervé Graumann, der Neodadaist ist ein scharfer Denker, der die Idee des autonomen Bildes, seiner Generation und seiner Präsentation dauernd hinterfragt.
Diese Publikation verdeutlicht erstmals den ebenso spielerischen wie streng logischen Weg zu einem kohärenten Werkkomplex, in dem es rückwärts vieles zu entdecken und zu würdigen gilt, vor allem in den Anfängen, die sich mit der digitalen Technologie parallel entwickelt. Hervé Graumanns Mehrdimensionalität wird unterschätzt. Wo er sich bewegt, schliesst er mit einer Zielstrebigkeit alles Banale aus, und er kann in der Beurteilung von Kollegen, die nonchalante Kunst produzieren und sich in der Welt digitaler Bildgeneration zu spielerischer Beliebigkeit verführen lassen, sehr hart sein. Seit mehr als zehn Jahren ist er daran, das Prinzip des mimetischen Bilderdienstes zu hinterfragen. Was ist eine Leinwand? Was ist ein Bildrahmen? Was ist Acrylfarbe? Was ist Farbe auf dem Bildschirm und was geschieht, wenn ein Plotter die Pixel ausdruckt und beliebig identische Bilder liefert? Wie reagieren wir, wenn wir auf Leinwand gemalte, vergrösserte Pixel vor uns sehen, wo wir doch zu recht dem Pinsel organische Übergänge zutrauen? Was ist eine gedruckte handschriftliche Signatur? Was ist eine maschinelle Datierung mit Angabe von Tag, Stunde und Minute und was bedeutet die einmalige automatische Widmung, vom Adressaten ausgelöst und an sich selbst abgeschickt. Das ist exakt so, als würde man den unbekannten Autor an einer Lesung um eine Widmung bitten, die dieser lächelnd gewährt, nachdem er die Schreibweise des Namens erfragt hat.
Lust entwickeln an seiner Arbeit kann nur, wer auch Lust hat, künstlerische Strategien zu hinterfragen und auch einige bisher liebgewonnene Kunstregeln und -attitüden aufgibt, die mit Individualstil und den bisherigen Merkmalen der Bildoriginalität zu tun haben. In die zufallsgenerierten Farbkompositionen von Raoul Pictors Bildschöpfungen sollte man sich nicht verlieben, auch wenn Hervé Graumann sich freut, wenn er diese Bildprodukte gerahmt an den Wänden eines Zimmers findet, Computerdrucke, die einmal zehn Franken kosten und das andere Mal gratis mitgenommen werden dürfen. Raoul Pictor, die comicartige Bild-animation ist der letzte Autritt eines romantischen Künstlers, beziehungsweise die karikierte Kurzformel eines Schöpferstereotyps. Nach diesem sehne ich mich manchmal, wenn ich bei Atelierbesuchen nur noch Computer und nackte Wände vorfinde und mir ein Glas Orangensaft serviert wird. Raoul Pictor ist die radikale Zerstörung eines liebgewordenen Künstlermythos, der im Zeitalter der Gentechnologie nur noch als Animationsfilm funktioniert.
Seit wir begonnen haben, Tiere, Pflanzen und Menschen zu kopieren, hat das mimetische Schaffensbedürfnis seine Attraktion verloren. Wieso sollen wir die Wirklichkeit kopieren? Klonen ist der ultimative, nicht mehr zu überbietende künstlerische Schöpfungsvorgang. Du sollst Dir kein Bildnis machen und die Natur nicht kopieren mahnen wir, uns auf die Bibel berufend! Die Natur sträubt sich dagegen, nachdem sie uns Jahrtausende vorgelebt hat, dass sie – und wir in ihr – natürliche Vielfalt generieren, statt zu reproduzieren, sagt der Ethiker dem Genetiker. Mit Klonen möchten wir das Prinzip von Zeit und Vergänglichkeit ausser Kraft setzen. Der Ewigkeitsgedanke ist verführerisch für das menschliche Tier mit seinen Ego-Ansprüchen. Es wird aber das Lebensprinzip ständiger Veränderung und Neuschöpfung und das Prinzip von Werden und Vergehen aufgehoben. Nicht ohne Bedenken vor unabsehbaren Gefahren versuchen wir unser potentielles Vermögen einzuschränken, so wie uns der gesunde Menschenverstand aus Angst vor der totalen Zerstörung dazu geführt hat, die Möglichkeiten nuklearer Waffentechnologie zu reduzieren. Die Verzichtsleistung haben wir uns mit den Möglichkeiten der virtuellen Expansion kompensiert. Explosionsartig hat sich die Wirklichkeit in unüberblickbare Räume ausgedehnt.
Wenn Hervé Graumann rasterartig die Wirklichkeit kopiert und das dreidimensional vorführt, was wir mit dem entsprechenden Programm und Tastendruck auf dem Bildschirm generieren können, dann ist dies die geistige Vorwegnahme einer Realität, die sich per Tastendruck vervielfachen lässt. Die Brisanz von Hervé Graumanns Reflexion ist möglicherweise noch nicht erkannt. Wir verstricken uns in ethisch-rechtlichen Diskussionen über das Klonen von Lebewesen, Graumann übersetzt die virtuelle Expansion in die Realität zurück. Eine ernsthafte Sache nonchalant serviert. Die CD-R als Menu, Smarties oder Extasy-Pillen, Spritzen, Cookies, Medikamente in der Morgen- Mittag- und Abenddosierung, Halluzinogenes, Sedatives und Stimulantien als Sushi präsentiert. Das ist ein Metaphernrätsel und Verwirrspiel als Appell zu differenziertem Wahrnehmen und Reflektieren, ein Kick, manipulierte Wirklichkeit zu analysieren und komplexe Vorgänge denkend wahrzunehmen. Nonchalant ja. Aber der Traumtänzer, der uns auf der Netzhautbühne mehrdimensionale Pirouetten vortanzt, möchte uns aus dem Dornröschenschlaf des anästhetisch-bewusstlosen Bildkonsumierens rütteln. Seine rätselhaften Bildträume haben die schelmische Qualität eines Weckrufes.
Und da sind wir wieder am Anfang des Jahrhunderts bei den Dadaisten, die die Ausdrucksräume in alle Richtungen erweiterten und Tradiertes und Geliebtes in Frage stellten, da sind die Ready-mades, die die bisherigen Kunstprinzipien entzauberten und die Zeitgenossen auch heute noch verwirren. Die Ahnengalerie ist hier nicht aufzuzählen. Chemin ist Graumann wichtiger als Duchemin. Er möchte nicht mit den Übervätern des frühen 20. Jahrhunderts in Bezug gebracht werden. Aber zumindest mit den näheren Zeitgenossen wird man ihn zu gegebener Zeit in Verbindung bringen und differenziert vergleichen: mit Giulio Paolini, Martin Kippenberger und Markus Raetz etwa. Wir lassen für den Moment diese Anspielungen, schon deshalb, weil sich Hervé Graumann konsequent in der Gegenwart der neuen Bildtechnologien bewegt und für sich beanspruchen kann, ein Pionier in der visuellen Reflexion dieser neuen Bildwelten zu sein. Als Kind des Computerzeitalter gross geworden, vergisst er doch auch nicht, Pinsel und Farbe zu berühren und er spielt mit der Qualität der neuen Materialien, bis ihm neue Formen von Aquarellen entstehen. Wenn er eine ganz bestimmte zirpende Druckergeneration, die seither verschwunden ist, auf einen Schaumgummisockel stellt, dann beginnt die primäre Wirklichkeit zu schwanken. Das ist mehr als ein visualisiertes Wortspiel mit Hard and Soft. Es ist auch der Versuch der jeweiligen, schnelllebigen Wirklichkeit ein Maximum an Poesie abzugewinnen. Hier wäre man versucht, wieder von einem romantischen Träumer zu sprechen, der der blanken Ökonomie, die diese Technologie vorantreibt, die zaubervollsten Nebenräume und Kammern im Platonschen Höhlensystem erschliesst.
Was ich mich frage: Habe ich, der ich den Computer wie eine luxuriös und bequem erweiterte Schreibmaschine anwende und keinerlei Kenntnisse im Programmieren habe, eine grundsätzlich andere Wahrnehmung dieses Werkes als jemand, der ähnliche Kenntnisse besitzt wie Hervé Graumann selbst und der mit dieser selbstverständlichen Leichtigkeit die Generation dieser Ideen nachvollzieht und durchschaut. Die Frage ist offenbar unwichtig, denn ich betrachte mich als Beweis, dass der Reiz von Graumanns Arbeit mir ebenso zugänglich ist, wie einer jüngeren Generation von Betrachtern und flinken Informatik-Anwendern. Vage tun sich Dimensionen neuer zukünftiger virtueller Kunsträume auf und trotzdem ist seine Arbeit auch immer vernetzt mit der ganzen kunsthistorischen Vergangenheit und den alten ästhetischen Begriffen früherer Kunstepochen.
Er führt uns an schwierige Fragestellung, wenn er im Interview fragt: Est-ce l’homme qui doit surveiller l’ordinateur ou l’inverse um gleich mit Beispielen jenen zuvorzukommen, die geneigt sind die Prädominanz der Maschine abzulehnen und als absurd hinzustellen. Graumann bleibt im Gleichschritt technischer Entwicklungen, aber er umrankt und umkreist sie in der verspieltesten Weise auch mit Reflexionen und Fragen. Er nimmt sie wahr wie ein staunendes Kind, dreht sie um auf den Kopf, schaut unter die Oberflächen und in die Maschine selbst, hört den Geräuschen zu, passt sich den Geschwindigkeiten und neuen Möglichkeiten an, spielt mit neu entstandenen Begriffen, den Bedeutungen und dem Bedeuteten und er sieht sie an, wie einer, der nicht mit ihnen arbeiten muss, sondern damit spielen darf. Der Computer ist eine Entdeckungsmaschine, und er kann sie und ihre neusten Programme im Sinne ihrer Erfinder anwenden als auch den Computer aus entfernter Distanz als Himmelsleiter betrachten.
Der Humor in der Kunst ist stets ein Zeichen für unverkrampftes Experimentieren und Reflektieren. Die Ironie scheint Graumanns ständiger Begleiter zu sein. Sie gibt ihm die nötige Distanz. Ironie verlangt aber nicht nur nonchalantes Assozieren und Improvisieren sondern auch Gedankenschärfe und Selbstdisziplin. Als Betrachter ist man geneigt, nur immer das fertige Werk zu betrachten. Aussondern und systematisch den nebensächlichen Verführungen auszuweichen mit einem noch unbekannten Ziel vor Augen, dies ist das Feld, auf dem Pioniere ihren Weg finden.
Andreas Meier